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Leseprobe Spätzünderin

 

1

Etwas befördert mich sanft ins Bewusstsein. Irgendwo spielt ein Radio diese Melodie aus "Täglich grüsst das Murmeltier" die ich gestern Abend bei Günter Jauch nicht richtig geraten habe. Dass es nicht Yesterday von den Beatles ist, wusste ich, trotzdem habe ich zwischen den zwei Möglichkeiten auf die falsche getippt. Mir wollte diese Melodie nicht einfallen, sonst hätte ich die richtige Antwort gehabt.

 

Danke, lieber Gott, dass ich nicht aufstehen muss! Der Besuch ist weg und heute ist mein eigener Geburtstagstag. Der ist nur für mich.

Bedanke ich mich wirklich dafür, dass ich Fünfzig geworden bin?

Ganz schön blöd! Ach, ist ja auch egal. Jeder kommt mal da hin, wenn er Glück hat und nicht vorher schon hinter den Vorhang treten muss.

In zehn Jahren werde ich denken: wie jung warst du doch mit Fünfzig und wie alt bist du jetzt. Dasselbe habe ich schon vor zehn Jahren gedacht.

Warum kommt uns alles andere, das vor uns liegt oder hinter uns, begehrenswerter vor als die Gegenwart? Warum wollte ich früher immer Locken haben und meine Tochter, die Locken hat, will glatte Haare? Warum habe ich mich immer nach einem richtigen Traumprinzen gesehnt, als ich noch normal mit Max zusammen war und warum sehne ich mich jetzt nach Max?

Mich regt auf, dass mir der Titel des Liedes nicht einfällt. Ich kann mich nicht mal an die zwei in frage kommenden Antworten von gestern Abend erinnern. Ein Menüpunkt des Programms ANNA funktioniert manchmal nicht. Kann Jemand helfen?

Es wäre doch wunderbar, wenn es einen Support für die verschiedenen Programme MENSCH gäbe. Die sagen einem dann - wenn man verzweifelt nach sieben misslungenen Versuchen anruft - da und dort musst du drauf drücken, die Taste ganz links festhalten und gleichzeitig die ganz oben rechts kurz antippen, das Ganze mit ENTER bestätigen und wenn dann immer noch der Fehler da ist, dann schicke uns mal dein Gedankenprotokoll der letzten siebenundzwanzig Jahre. Wir melden uns, wenn wir was gefunden haben. Das wäre doch prima, oder?

In drei Wochen und drei Tagen rufen sie noch mal an, um zu fragen, ob der Fehler noch aktuell ist. Welcher Fehler? Wir haben inzwischen komplett vergessen, worum es ging.

Immer schleicht sich der Job in die Gedanken! Selbst wenn ich faul zu Hause im Bett herumliegen darf oder gar fünfzigste Geburtstage feiern .... ich, die coole Computerfrau.

Die IT-Branche ist eben nicht nur was für die Jungs zwischen 25 und 35, belastbar wie Reispapier, flexibel wie ein Brückengeländer und dynamisch wie eine sechzigjährige Frau beim Stricken von Püppchen für die Solidarität.

Das einzige was sie wirklich sind - jung . Und das ist auch das einzige, worum ich sie verdammt noch mal beneide.

Einige von denen wollen witzig sein, andere trauen sich das nicht, wegen dem Image. Sie kehren den genervten Alleskönner hervor. Und wieder andere geben sich gnädig mit unsereins ab und fürchten bei jedem ihrer heiligen Worte, dass es zu viel von ihrem genialen Wissen verraten könnte.

Jeder ist natürlich schlauer als der andere und wenn nicht, versucht er das zu vertuschen. Keiner gibt zu, mal etwas nicht zu wissen, denn das würde dem Ansehen schaden. Lieber sagen sie irgendwas unverständliches, das der andere gar nicht verstehen kann. Der Andere denkt dann wieder, er ist zu blöd zu verstehen, was der Erste gemeint hat und traut sich deshalb auch nicht zu fragen. So passiert es, dass einer nichts erklärt und der andere nichts versteht und es sieht trotzdem so aus, als wäre alles in bester Ordnung.

In Wirklichkeit haben die Männer in dem Alter ganz andere Probleme, sofern sie nicht unter Dach und Fach sind und ihre Gedanken sich nur innerhalb des eigenen Gartenzaunes bewegen.

Sie suchen. Die einen suchen ganz offensichtlich, die anderen heimlich. Der eine oder andere mag auch darunter sein, bei dem der Spieltrieb der Kindheit noch nicht vorbei ist, die spielen  stattdessen mit dem Computer.

Männer, die den ganzen Tag an nichts anderes als an Frauen denken können, sind am anstrengendsten. Dauernd haben sie anzügliche Sprüche drauf, beurteilen jeden Tag unsere Garderobe auf  Sexappeal  und man gibt ihnen am besten gar nicht erst die Hand zum Guten-Morgen-Sagen. Auf die Arbeit können sie sich auch nicht konzentrieren.

Die anderen, die öfter mal an die Hoffnungslosigkeit ihrer Suche glauben, sind schon witziger. Denen kann man wenigstens den einen oder anderen guten Ratschlag geben und man muss nicht ständig den Alarmknopf im Auge haben, wenn man mit ihnen alleine im Zimmer ist.

Abgesehen von den Verheirateten in geordneten Verhältnissen gibt es doch nur  geschiedene, verzankte, getrennt lebende oder echte Singles. Männer.

Männer sind ja selten so richtig normal, aber in dem Alter bis Vierzig gibt es noch weniger.

Einer von denen bis Vierzig war Tom.

Tom kam im Internet vor. Jazz36 war sein Chatname. Ausgerechnet auf einem Server in Südafrika knallten unsere Datenpakete zusammen. Es war Liebe auf den ersten Klick.

Er war so kultiviert und so intelligent und so schön jung! Keine Sekunde zweifelte ich an seiner Identität. Im Gegenteil. Ich bewunderte und beneidete seinen Stil.

Bald hat er mir eine E-Mail geschrieben mit sorgfältig ausgewählten Gedichtzeilen von Erich Fried. Worauf ich mir sofort zwei Gedichtbände von Fried kaufte und deren Inhalt verschlang. Das war der Beginn meiner literarischen Ausrichtung auf Tom.

Seit der Wende war ich keine Leseratte mehr. Davor gab es um jedes gute Buch Kämpfe unter dem Ladentisch im volkseigenen Buchhandel. Danach gab es alles im Überfluss. Bücher sowieso. Der verführerische Genuss, ein bestimmtes Buch erstanden zu haben, war abgeschafft worden. Dachte ich überhaupt damals daran, mir Bücher zu kaufen? Täglich wurden solche Mengen Lesestoff in den Briefkasten gestopft, dass man schon das nicht schaffen konnte. Nun gut,  wir lernten schnell, diese Lektüre direkt vom Briefkasten in den Papierkorb zu befördern.

Eigentlich ein Degradierung und keine Beförderung.

Da sieht man wieder, welch gegensätzliche Bedeutung Worte annehmen können.

Ähnlich ist es auch mit täglichen Dingen, mit dem Charakter von Menschen, mit Arbeit  mit den Witzen und mit Licht und Schatten. Es kommt immer drauf an.

Wenn mich jemand fragt, ob ich lieber Iris Berben wäre als Anna Dornfeld? Es kommt drauf an, würde ich sagen. Auch Iris Berben, so schön sie ist und so sehr ich sie bewundere, hat garantiert Momente, in denen sie lieber eine x-beliebige Anna Dornfeld wäre. Und dann möchte ich auch nicht Iris Berben sein!

Jahrelang stillte alle 14 Tage eine neue BRIGITTE meinen Lesehunger, wenn noch welcher am Ende eines Tages übrig war. Ich las keine Bücher mehr. Zeit hätte ich bestimmt gehabt, aber ich hatte keine Musse. Ein Dauerregen von Intrigen, Morden, Make-Up-Empfehlungen, Kriegen, Modetrends, Quizsendungen, Daily Soaps, Callagnetis, Gesünder essen, für immer schlank, Sexualstraftaten, Missbrauch, achtzig-tausend-Mark-Gewinnen und wie werde ich mein eigener Chef - prasselte auf mich und auf jeden anderen genauso, herab.

Einen Literaten hatte ich mir herüber gerettet aus der DDR in den Westen. Erwin Strittmatter. Und Eva Strittmatter auch. Ihre kraftvollen Gedichte und seine unverwechselbare Prosa gingen mir zum Glück nicht abhanden.

Mit Jazz aus dem Internet kam mir das Lesen zurück. Ich verschlang "Salz auf unsere Haut" - meine erste erotische Westliteratur ausser der PRALINE. Ich bekam Paulo Coellho entdeckt, las "Seide" und Bernhard Schlinck. Kurz und gut - bei buch.de verdienten sie gut mit mir. Mein Gott - was hatte ich versäumt! Jahrelang nichts Vernünftiges gelesen zu haben, das grenzt schon fast an Sünde.

Tom war nicht nur für meinen Kopf gut. Auch für meinen Hintern und den Busen - wenn man es mal so sagen darf. Junge, Junge, was für schlimme Untersachen hab ich damals angehabt!

Wem im realen Leben würde man etwas über seine Unterwäsche verraten, bevor er es nicht selber sieht? Wer würde danach fragen?

Chatten kann man über alles. Geheimnisse? Ich hatte keine. Vor niemand. Und vor Jazz36 sowieso nicht.

Nicht mal aus meinem Alter machte ich ein Geheimnis, damit log ich nur. Das Internet petzt ja nicht!

Am Anfang meine Chatkarriere war ich zarte 20 Jahre alt. Ein Gefühl war das, Mädels!

So viele Jungs, wie mich da flach legen wollten, habe ich in meinem ganzen realen Leben nicht getroffen. Aber zwanzig war ich nicht lange. Es wurde bald langweilig, denn es lief immer nach demselben Muster ab: Grösse - Haare - Augenfarbe - Busen - Gewicht - bist du rasiert? – schick‘ mir ein Bild!

Einer war dabei, den erwischte es auch auf den ersten Klick. Er war hingerissen von mir und ich war auch hingerissen von mir, weil ich es so locker schaffte, einen jungen Kerl anzuzünden! Als es ihm immer ernster wurde - ich fand's ja auch toll und hab dann schon mal die brutale Wirklichkeit einfach so vergessen - konnte ich nicht anders und musste die Karten auf den Tisch legen. Er hat mir ein Gedicht gedichtet, das nur aus Entrüstung bestand. Und er wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Damit hätte diese eine Story sofort ihr Ende gehabt, aber so war es nicht. Er schaute sich heimlich Frauen meines Alters auf der Strasse und in seinem Betrieb an und wir chatteten weiter - rein freundschaftlich, versteht sich.

Hab ich es noch nicht erwähnt? Er war achtundzwanzig.

Meistens freundschaftlich. Er bekam irgendwann so etwas wie eine Identitätskrise und fühlte sich für mein Seelenheil verantwortlich. Hielt mir dauernd Predigten. Als hätte Max ihn engagiert.

Ich hab ihn noch eingeladen, zusammen mit seiner Freundin über Pfingsten zu uns zum Wandern zu kommen. Mit Max war es abgestimmt. Chris  wollte seine Klampfe mitbringen und wir kauften  2 Bettdecken und Kopfkissen, damit der Westbesuch nicht unter unseren jahrealten Ostdecken schlafen musste. Aber wie sollte es anders sein, sie kamen nicht. Es gab keine grossen Erklärungen, erst viel, viel später einen Versuch dazu.

Ich wollte es Max beweisen, dass die Chat-Menschen auch richtige sind. Für mich bestand daran nie ein Zweifel.

Er, Chris, hatte Schiss bekommen. Er dachte sich wohl Schauermärchen aus: In einem Ost-Provinznest im Keller eines Einfamilienhauses eingesperrt und von den perversen Alten missbraucht werden ... Na ja - Haken dran. Ich kann es ihm gar nicht übel nehmen. Wenn ich an Max' Reaktionen auf das chatten denke, muss ihn ähnliches geplagt haben. Und jetzt war die Story richtig zu Ende. Schluss mit den Kindern!

Ich alterte und wurde fünfunddreissig. Aber das mit den grünen Jungs hörte nicht auf. Sie standen fast alle auf etwas ältere Frauen!  So unbeholfen wie sie waren, konnte ich sie doch nicht auf unsere Töchter loslassen!

Dem einen habe ich die Wonnen eines gemeinsamen Bades erschlossen und wie und wo man sich mit den Zehenspitzen berühren kann. Ein wunderbares Vorspiel.

Mit einem schon etwas älteren Mann (join / 33) aus Stellenbosch konnte ich nur englisch chatten. Ich und englisch!

Dort wo er am Computer sass, war es wohl sehr heiss - bei uns war Winter - und er hatte es immer mit dem Ausziehen. Soviel habe ich noch mitbekommen. Da schrieb ich dann solche Worte wie: my jeans are flying out of the windows ... und ähnlichen Schwachsinn. Ich hab mich dabei köstlich amüsiert. Ich weiss nicht, ob er mein Gestammel deuten konnte. Jedenfalls ich hab meine Pointen verstanden!

Es gibt Schulen in Kapstadt, an denen ausschliesslich deutsch unterrichtet wird. Dort hatte B-STONE gelernt, perfekt deutsch zu sprechen und zu schreiben. Ihn traf ich als allerersten im Südafrika - Chat und die Chats mit ihm sollten die allerschönsten überhaupt werden.

Zuerst einmal lehrte er mich den Umgang mit dem Chatprogramm.

Dann beschützte er mich, indem er mich in einen privaten chat-room zerrte, als andere mich im öffentlichen als Faschist beschimpften. Dass er mich dann da sitzen liess, weil er wohl besseres zu tun hatte, und ich nicht wusste, wie ich wieder rauskommen sollte, lassen wir mal so stehen. Er zwang mich, mein Schreibtempo zu vervielfachen, denn er konnte sich anfangs einfach nicht mit mir abgeben. Ich war ihm zu lahm. Kein Wunder - die Jugend war ja auch nur vorgetäuscht! Trotzdem habe ich es immer wieder geschafft, in den erlauchten Kreis seiner geöffneten Fenster zu gelangen. Er erzählte, dass er mit 10 Leuten gleichzeitig in je einem Fenster chatte. Kennt einer Anna? Natürlich war das mein Ziel ab da. Fünf bis sechs Fenster zu bedienen, das habe ich auch bald geschafft. Hatte auch mal zehn offen, aber da verliert man schon mal leicht den Überblick und antwortet einem falschen. Wie oft musste ich mich deswegen wohl auf Deutsch oder auf Englisch entschuldigen? Sehr oft.

 

Ganz am Anfang hockte ich eher schüchtern in dem englisch-sprachigen Chat-Room herum und konnte gar nicht reagieren, wenn ich angesprochen wurde, weil ich das meiste nicht verstand. Ich hatte die ganze Zeit über das Gefühl, die machen sich alle nur über mich lustig. Mit Jasmin war ich ja nur zu gut als Deutsche zu identifizieren.

Jedenfalls erinnerte ich mich kurz daran zurück, dass alles nur Spiel und Spass ist und traute mich einzuwerfen:

"Ist hier überhaupt irgendjemand, der zufällig deutsch spricht?"

"Ich, ich, ich, ich" brüllte förmlich B-STONE. Das war sozusagen der Anfang.

Im Laufe der Zeit haben B-STONE und ich uns romantische oder lustige Stories ausgedacht und  er war es auch, der mich später in die Geheimnisse der erotischen Chat-Kunst einweihte.

Wir lernten uns genauso kennen, wie es im realen Leben vor sich gegangen wäre. Er erzählte von seinen Leuten und dem Studium und ich fragte ihn nach allen Regeln der Kunst aus. Natürlich interessierte ich mich brennend für die Lebensweise in diesem fernen Land, das auf einmal so nahe bei mir war.

Eines Abends fragte er mich, ob wir mal was Ausgefallenes machen wollten. Ich - spröde wie Mutters Hände - meldete sofort meine Bedenken an. Hätte auch gar nicht gewusst, wie ich Sex aufschreiben soll. Noch dazu, wenn es interessant klingen muss. So viele theoretische Kenntnisse besass ich gar nicht. Von praktischen ganz zu schweigen. Aber ich liess mich darauf ein und sollte es nicht bereuen. Ich hätte gar nicht geahnt, wie schön man Sex schreiben kann. Ich selber musste nicht viel beitragen. Habe nur ab und an ein Lebenszeichen von mir gegeben. Mir fehlten sowieso die Worte dazu.

B-STONE bot schriftlichen Sex vom Allerfeinsten. Da gab es keinen Moment, wo es zotig oder eklig zugegangen wäre. Das war so gut geschrieben, ich hätte es öffentlich vorlesen können, ohne mich zu schämen. Und – man mag es glauben oder nicht - es gab da auch sogar noch das berühmte Nachspiel....

 

Nun bin ich ja, wie schon gesagt, kein Mann. Und der Computer ist auch keiner. Ich habe ihn auch nie als Ersatz für einen Mann angesehen. Auch nicht DABEI. Also - wie soll ich mich ausdrücken - mir ist nichts passiert dabei. Doch es war ein Hochgenuss, das muss ich eingestehen. Da man lernfähig ist, und Frau besonders, beherrschte auch ich bald die Kunst, Wortsex haben zu können. Unter einer Bedingung: Der Partner musste Spass verstehen. So wurde ich zum Beispiel wörtlich nie handgreiflich. Ich reizte den Partner mit erotischen Anspielungen und mit phantasievollen Andeutungen. Aber ich hielt ihn immer etwas auf Abstand.

 

Jeder weiss es und keiner will es wissen: Abstand im richtigen Mass ist anziehender und dauerhafter als Uhu auf dem Bauch.

Das funktioniert  wie bei diesen kleinen Magnetpinschern, die es bei uns in der DDR früher gab. Ein kleiner weisser und ein kleiner schwarzer Pinscher aus Plaste mit einem Magnetstäbchen mittendurch, das vorn das Schnäuzchen und hinten das Popochen bildete. Beide klebten in einem durchsichtigen Plastikbeutelchen Schnäuzchen an Popochen zusammen, solange bis sie jemand für 1,10 Mark der Deutschen Notenbank kaufte.

Wenn man mal davon absieht, dass sich die beiden Hundchen am gleichen Körperteil sowieso nicht anzogen, wegen der Magnetpolung, dann funktionierten sie nach dem Motto: " Du kannst mich mal ..." genauso, wie oben beschrieben.

Rückten sie sich zu dicht auf den Pelz, klebten sie nur noch zusammen und es gab keine Bewegung mehr. Waren sie zu weit auseinander passierte gar nichts, hatten sie aber genau den richtigen Abstand, dann konnte der eine mit seinem Po den anderen an der Nase herumführen.

Wie bin ich jetzt auf den Hund gekommen? Durch Sex - aha.

 

Was ich mit dem neuerlichen Ausflug nach Südafrika eigentlich sagen wollte war, dass es den jungen Männern im Internet relativ egal ist, wie alt du bist. Sie gewinnen jedem Alter was Gutes ab, Hauptsache man spielt mit ihnen. Ausserdem herrscht in den Weiten des Netzes immer noch Männerüberschuss, so dass die Frauen Hahn im Korbe sind und die Männer können zusehen, wie sie rankommen.

 

Es tummeln sich deswegen mehr Männer im World Wide Web, weil sie es in der Regel leichter haben, sich unauffällig am Rechner zu vergnügen. Dann arbeiten sie eben und man darf sie nicht stören. Aus dem Büro sind sie es ausserdem gewöhnt, die Cheftaste cool und ohne erkennbare Nervosität zu bedienen.

Wir Frauen werden wenigstens rot dabei, die Taste ist plötzlich weg. Weil wir gefangen waren, in dem was sich da abspielt finden wir sie natürlich erst morgen. Wir schalten in letzter Not den Rechner aus und stammeln eine haarsträubende Erklärung. Dass wir sagen könnten, der Rechner ist abgestürzt, das fällt uns auch erst morgen ein. Oder wir sind trotzig und sagen uns - was übrigens sogar stimmt - ich habe Pause und da kann ich auch mal im Internet stöbern. Kann jeder sehen. Doch wer dazukommt, der hat keine Pause und denkt nicht, dass wir eine haben könnten ... und so kann es ein ganz schönes Gerede geben.

Doch mal ganz abgesehen vom Büro. Zu Hause können die Männer ihre im Job erworbenen Fähigkeiten auch gut gebrauchen. Während Schatzi das Abendessen zaubert,  guckt halt Mausi schnell noch mal was im Internet... und wie froh ist frau, wenn er bei GZSZ sie  mit seinen blöden Kommentaren verschont...

Der Männerüberschuss ist schon okay. Kann so bleiben.

 

Ich schraubte mein Alter sogar noch höher - bis auf fünfundvierzig Jahre! Da war ich in echt achtundvierzig. Aber das fand ich in Ordnung. Ich sehe ja nun wirklich nicht so alt aus - oder? Na ja - manchmal im Spiegel, wenn das Licht auch noch ungünstig fällt ..

Dann habe ich ausserdem noch diesen blöden Vergrösserungsspiegel, weil die Augen nicht mehr alles sehen wollen  und mit Brille kann ich mich schlecht schminken.

Also in diesen Spiegel darf man nun wirklich nicht gucken, das kann einem den ganzen Tag versauen.

 

Jetzt bin ich doch über die Kapriolen mit meinem Alter, ganz von Jazz - Tom abgekommen. Und von meinem Hintern. Ich merkte damals gar nicht, dass er mich die ganze Zeit nur ausgefragt hat. Unter anderem auch über meine Unterwäsche. Was ich so trage. Oh Gott, das konnte ich ihm schlecht erklären. Bestimmt kannte er so etwas gar nicht, weil er nicht im Kaufhof in der Kiste für Oma-Schlüpfer wühlt. Jedenfalls solche Dinger trug ich. Um nicht ganz so blöd dazustehen, schob ich einen Teil der Schuld auf Max.

Und versuche gleich noch mal, nicht so blöd dazustehen. Die ganze Schuld schob ich auf Max. Und nicht nur in der Schlüpfer-Sache auch bei den BHs und für mein ganzes Leben. Eigentlich dämlich, wer so was glaubte. Aber ich glaubte es ja selber. Somit bin ich dämlich. Doch das ist mir nicht neu.

 

Jazz jedenfalls hat ordentlich auf Max gewettert und hat mich so liebevoll  in seine imaginären Arme genommen und hat mir erzählt, was für chice Dessous er sich an mir so vorstellen könne. Ab da ging ich mit ihm einkaufen. Er war immer dabei, in welches Geschäft ich auch hinein ging. Ich konnte mich gerade noch beherrschen, ihn nicht mit in den Supermarkt zu nehmen.

In diese Zeit fiel dann der Beginn meiner Tanga-Ära. Jeden anderen hätte ich einfach nur ausgelacht, hätte er mich animieren wollen, Tangas zu tragen. Max hätte ich mit so einer Idee angeboten, ihm einen Puff-Besuch zu bezahlen, wenn er einen Frauenhintern im Tanga sehen will.

Aber Jazz-Tom, bei dem war das was anderes. Den liebte ich ja schliesslich mittlerweile richtig.

Max war nur mein Mann, der höllisch darunter litt, dass ich ihm mit einem Computer untreu wurde. Er, der gewohnt war, dass Dumm-Anna immer drei Meter hinter und wenigstens einen Meter unter ihm existiert und funktioniert, stand plötzlich ganz blöd  da. Verlassen.  Das konnte es doch gar nicht geben! Machtgebrüll, Ohnmachtsanfälle, Wutanfälle, Heulanfälle, Kreislaufschmerzen - die ganze Palette.

Mich berührte das nur wenig. Ich hatte ja jetzt Tom. Und die vielen anderen Männer im Internet, die mich alle so doll mochten!

Aber Tom hatte mich nicht. Er hatte kein Interesse an einer Never-Ending-Story. Wir hätten uns irgendwo treffen und netten Sex haben können, aber irgendwie hat er wohl gemerkt, dass ich es dabei nicht belassen würde. Ich habe ihm hoch und heilig versprochen, dass ich ihn nie niemals heiraten wolle,  aber das hat nicht gereicht. Er hat sich auf nichts eingelassen. Nichtmal auf ein Bild von sich - obwohl er sogar Hobbyfotograf ist - man stelle sich das mal vor. Ich natürlich - Anna die Doofe - habe ihm eine Menge Bilder von mir geschickt. Sehr schöne Bilder übrigens. Ich habe sie selbst von mir mit einer damals noch ganz einfachen Digitalkamera geschossen und dann zu Kunst gemacht. Auf dem einem sitze ich auf der Treppe, nur mit einem weissen Leinenmantel bekleidet, der ein bisschen was sehen lässt, aber jugendfrei. Hinter mir kaskadenartige Schatten von Anna.

Auf einem anderen sieht man nur das Gesicht und die Hände, alles andere geht in den dunklen Hintergrund über. Mir haben die Bilder total gut gefallen. Zum ersten Mal in meinem Leben fand ich mich nicht nur erträglich auf Fotos, sondern schön. Dass ich einige dieser Fotos an Jazz geschickt habe, das kann mir keiner übel nehmen.

Max? Er war hochgradig misstrauisch und hatte sie schon längst auf der Festplatte gefunden, wie auch anderes, das nicht für ihn bestimmt war, aber dazu gleich. Max hätte ich sie auch nicht geben wollen. Weil sie meine waren. Ich hatte sie gemacht und nur mich gingen sie was an. Max hatte Bilder von mir gemacht - und fand die auch noch schön - da sah ich aus, wie meine eigene Leiche. Grelles Sonnenlicht, tausende Falten und gestorbene Augen.

Ich konnte auch anders aussehen - das beruhigte mich sehr und ich nannte es meine Selbsttherapie.

Damals glaubte ich noch fest daran, eines Tages Tom herumzukriegen. Ich fuhr auf eine Dienstreise. Es war Sommer und ich dachte mit Schmerzen im Herzen, wie immer, an Tom. Plötzlich durchfuhr  mich glatt ein ICE. Ich hatte mein neues Parfüm - Armani Woman – vergessen! Natürlich hatte ich es mit ihm gekauft. Ich überlegte fieberhaft, wo ich einen neuen Flakon  herbekommen könne, denn ich bildete mir doch allen Ernstes ein, dass dieser Gott in mein Dienstreisestädtchen, das nicht so weit von ihm wie von mir entfernt war, kommen würde, um mich, Anna,  in seine Arme zu schließen.

Der nächstfolgende Schreck war noch schlimmer. Rote Ampel, Vollbremsung. Alles vom Beifahrersitz - zum Beispiel mein Streckenplan, mein Handy, mein Apfel - landete mit Schwung in der vordersten Ecke vom Fußraum. Aber ich hatte es geschafft. Gerade so. So eine Scheiße, dachte ich, wegen dem blöden Parfüm hättest du ihn jetzt fast niemals mehr gesehen.

Max war natürlich dran schuld. Ehrlich, denn er hatte in der Nacht davor wieder einen der Ohnmachtsanfälle mit Wut, Arme festhalten, endlosen Reden. Er hat mich stundenlang wach gehalten, was er sagte, habe ich nicht gehört, aber ich weiß es - er wollte mich mit keuchenden Worten zwingen ihn zu lieben. Ich hatte zuviel Angst zum Zuhören. Als er nach Stunden von mir abließ, hat er sich weg gedreht und ist auf der Stelle eingeschlafen. Ich lag noch lange wach, hatte Angst, liebte Tom und hoffte, dass er kommen würde in die kleine Stadt.

Und ich vergaß das wichtigste - das Tom-Jazz-Parfüm.

Wie durch ein Wunder kam ich nach über vier Stunden Fahrt unversehrt im Hotel an. Ich stand an der Rezeption und wartete, dass mir der sehr hübsche aber leider schwule Kellner den Zimmerschlüssel aushändigt, da kommt ER die Treppe herunter. Groß (eigentlich größer, als beschrieben ... hm!) gutaussehend, jung (nicht zu jung ..?) und blonde Haare (sollten sie nicht rötlich sein...?).

Ich habe diesen fremden jungen Mann unverhohlen angestarrt, ich glaube, dem wurde ganz komisch in einer bestimmten Gegend. Vielleicht hat er schon seine Unschuld für die Nacht schwinden sehen?

Natürlich habe ich kein Wort über die Lippen gebracht und natürlich hat er auch nichts weiter vollbracht, als freundlich zu lächeln und durch die Tür ins Freie zu entschweben. Okay, dachte ich bei mir, ich muss sowieso erst mal duschen... und ich schleppte meine Reisetasche die 4 Treppen hoch bis unters Dach. Wo gibt es diese Hotels wie im Film, wo sie einem das Gepäck tragen?

Aus meinem Fenster konnte ich auf den Platz vor dem Hotel hinunter sehen und da sass er und trank etwas. Ich - mutig wie Schweinekopfsülze - erfrischte mich so lange, bis der da unten endlich weg war. Dann ging auch ich nach unten, aß Himbeertorte, trank Tomatensaft, las in meinem Buch und wartete. Ich nahm mir vor, an der Rezeption den schönen schwulen Mann nach dem Namen von diesem Fremden zu fragen, aber mir ist kein Trick eingefallen, wie das unauffällig erfolgen könnte.  Ich war schon soweit, es ohne Trick zu machen. Schweinekopfsülze.

Dann endlich, es war schon recht dämmerig, kam er angejoggt. Ich glaube er war es, sah jedenfalls aus der Entfernung so aus. Ist natürlich schnurstracks im Tor verschwunden und ward nimmer gesehen.

Darüber schrieb ich eine Mail an Tom (zu der Zeit hatte er übrigens noch kein Foto von mir, sonst wäre es ja nicht so spannend gewesen ...). Eine schöne Mail, poetisch .... Max sah das ganz anders, als er sie rein zufällig beim Schnüffeln auf meinem Computer fand.

Drama, nimm deinen Lauf.

 

Jazz fühlte sich von mir bedrängt. Was willst du von mir, schrieb er. Das wird doch nichts, ich habe keine Lust auf eine Fernbeziehung, das ist nur Stress.

Und ich tat cool, schrieb schwachsinnige Mails und brannte innerlich lichterloh. Hat jemand schon mal einen ganzen Satz Stecknadelspitzen im Körper gehabt? Die sich als Wolke vorwärts bewegen? Mal sind sie in den Beinen, mal in den Armen, im Bauch sowieso und besonders im Mund. Es ist, als wollte die Wolke hinaus, aber sie schafft es nicht, die Lippen zu überqueren. An den Lippen war es zum Schluss am ärgsten.

Manchmal habe ich den Mund fest zugemacht, damit die Wolke mich nicht verlässt. Damit dieses Leben mich nicht verlässt und dieses eine  Gefühl nicht.

Die Wolke ist immer noch in mir. Nicht mehr in den Armen und Beinen, leider, aber sie ist noch im Mund. Ich spüre sie oft, wenn ich an Tom denken muss.

Natürlich weiß es inzwischen jeder, dass er das nicht war in dem Hotel. Ich hoffte davor, dass er dorthin kommen würde, ich hoffte hinterher, dass er es vielleicht doch gewesen sei. Aber dort, vor Ort sozusagen, kam ich ganz gut mit der unerfüllten Sehnsucht klar. Wollte ich ihn denn wirklich treffen?

 

Wer mich kennt, und wer sollte das am ehesten außer mir selbst sein, weiß, dass ich eine hoffnungslose Träumerin bin. Meine Phantasie ist grenzenlos und die Konturen zur Wirklichkeit verwischen sich oft. Mein üblicherweise messerscharfer Verstand (na ja ..) versagt und ich hinterlasse garantiert lächerliche Spuren. Sichtbar für die anderen. Für mich nicht, da ist alles echt, alles muss so sein, wie es ist und ich spüre keine Lächerlichkeit.

Wenn ich mal ganz schonungslos in mich hineinleuchte, weiß ich schon, warum ich mich so hoffnungslos wuchtig in diesen Jazz-Mann verliebt habe. Es ist, weil er so unerreichbar ist. Er wird mir nie zu nahe kommen, das ist gewiss

Nur etwas, was man nie erreichen kann, kann man unbeschadet lebenslänglich begehren. Gilt für mich - muss andere nicht betreffen.

Glasklarer Verstand - oder? Wäre ich nicht mit der Schweinekopfsülze verwandt, würde ich gleich am Samstag bei Lämmle live anrufen und wäre sehr gespannt, was Brigitte zu meinem Fall zu sagen hätte.

Doch schon bei: „ welche Frage hast du an mich“ wüsste ich nicht, was ich sie fragen sollte. Alles. Würde ich sagen. Aber was soll eine damit anfangen, selbst wenn sie Brigitte Lämmle heißt. Und um wieder einmal ehrlich zu sein, ich hätte auch Angst, dass sie ausspricht, was mir irgendwo ganz tief drin sowieso klar ist: Entscheide dich, Alte, würde sie sagen. Egal wozu, aber entscheide dich!

Da ich das nicht kann, will ich das auch nicht hören und ich werde Brigitte nicht anrufen.

Hätte ich sowieso nicht gemacht.

 

 

 

 

4.

 

Das Telefon klingelt. Ich hoffe es ist Tom, ich weiß, dass er es nicht ist und er ist es natürlich wirklich nicht.

Ob mein Mann zu sprechen sei, fragt eine neutrale männliche Stimme.

Nein, er ist nicht da. Worum geht es denn?

Ob mir der Wein geschmeckt habe, fragt die Stimme weiter.

Welcher Wein? Ich weiß von nichts.

Er habe meinem Mann eine Flasche Wein gegeben. Hat er denn nichts davon gesagt?

Nein, hat er nicht.

Sie trinken wohl keinen Wein?

Nein, ich trinke keinen.

Wann ist denn ihr Mann zu sprechen?

Er kommt später, rufen Sie gegen sieben noch mal an.

Danke sehr, tschüs.

Nichts zu danken.

Einen schönen Tag noch!

Danke, Ihnen auch.

Das war eindeutig nicht Tom. Und endlich habe ich mal gut geschwindelt. Man kann doch wirklich alles lernen! Jeder weiß, dass ich gerne Rotwein trinke. Und viel. Zu viel manchmal. Bis auf die sechs Wochen zwischen Aschermittwoch und Ostern. Da faste ich weinmässig. Habe ich mir jedenfalls fest vorgenommen.

 

Als ob das noch einmal genauso sein könnte, wie an jenem Donnerstag im Mai, als Tom das erste und einzige Mal bei mir zu Hause angerufen hat. Nie ist etwas noch mal genauso. Aber solche Weisheiten vergisst man ja immer wieder.

Damals wäre ich fast in die Knie gegangen. Erst vor Überraschung und dann vor Aufregung.

Damals war er ja auch noch die allergrößte und die einzige wahre Liebe meines Lebens. Und nun durfte ich die Stimme meiner großen Liebe hören. Ich war überwältigt. Zu dem inneren Bild, das ich mir von ihm gezeichnet hatte, gesellten sich jetzt schwäbische Töne. Mein Gott, wie hat mein Herz geklopft. Weil ich meine Überraschung sowieso nicht verbergen konnte, habe ich sie lieber gleich überschwänglich gezeigt. Mit der nackten Wahrheit erzielt man manchmal noch die besten Resultate. Die glaubt nämlich selten jemand wirklich.

Sogar seine Nummer wollte Tom mir geben, das stelle man sich mal vor! Ich hatte aber kein Papier zur Hand und auch keinen Stift und das war in dem Moment gut so, denn ich hätte mich damit vor lauter Zittern bestimmt verletzt. Obwohl ich später, hätte ich noch mal die Wahl gehabt, lieber Stichwunden riskiert hätte,  denn ich brauchte danach ewig, um an seine Telefonnummer zu gelangen. Ich konnte ja wie immer nur mailen und der Gute hat sich nicht gerade aufgedrängt.

Nachdem er sie mir dann doch mal in einem Anflug von Güte zur Verfügung gestellt hatte, feierte ich in gerade noch erträglichen Zeitabständen meine Telefonfeste. Mit ihm. Es waren diese Schmetterlingsabende. Wir haben was-sich-neckt-das-liebt-sich gespielt, aber auch manchmal was Richtiges geredet. Er war mir so sehr vertraut. Langsam begann ich, mich auf ein Treffen mit ihm vorzubereiten. Zu diesen Vorbereitungen gehörte, dass ich die Entfernung meiner Krampfadern einleitete und dazu gehörte auch Norman. Der war noch jünger als Tom und er baggerte wie verrückt am Freitagabend beim Töpferkurs. Warum er in unseren Kurs gekommen ist, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Vielleicht hoffte er, dort eine Frau kennen zu lernen. Töpfern ist ja doch meistens Frauensache, da es im weitesten Sinne mit Geschirr zu tun hat und die getöpferten Töpfe oft in der Küche landen. Damit es die Frauen dort auch ein bisschen schön haben, beim Essen kochen.

Bei Normans Kreationen war Phantasie tabu. Keines seiner Werke hätte man von einer Keramik aus dem Kaufhof unterscheiden können. Wovon er schwärmte, während er den feuchten Ton mit seinen Händen bearbeitete... ich will gar nicht darüber nachdenken.

Er wolle unbedingt mal mit mir essen gehen. Natürlich ohne jeden Hintergedanken! Weil man sich mit mir so gut unterhalten kann und weil ich so lustig bin.

Ich wollte es wissen und ließ mich darauf ein. Es war Sommer und wir fuhren in die wohl billigste Schenke die es im Umkreis von dreißig Kilometern gab. Das Essen sollte aber soo gut sein. Außer uns konnte das weit und breit niemand beurteilen.

Danach bekam ich noch einen schönen Aussichtspunkt gezeigt, wobei sich langsam die Dunkelheit herabsenkte und wo eine Bank stand. Dort gab es Sekt aus der Sporttasche und aus richtigen Gläsern. Auf der Rückfahrt ist übrigens der restliche Sekt ausgelaufen, das war sehr lustig für mich.

Norman legte ganz unauffällig seinen Arm hinter mich auf die Rückenlehne der Bank und berührte wie zufällig meine Schulter mit den Fingern. Mein Gott, wie genial ich mich fühlte und wie überlegen. Es wurde ganz schön aufregend für ihn und ich übte fleißig.

Auf der Rückfahrt in seinem neuen AudiA4 legte er seine rechte Hand auf mein linkes Knie und fuhr die ganze Zeit im dritten Gang.

Die Freitagabende wurden immer heikler. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit versuchte er mich anzufassen. Pausenlos fiel ihm ausgerechnet in meiner Nähe irgendetwas herunter, das er dann ausdauernd unter dem Tisch suchen musste. Ab und zu brachte er mich auch nach Hause, was viel länger dauerte, als wenn ich die zwei Kilometer gelaufen wäre.

Bis dahin war außer Knutschen  nichts Wesentliches passiert. Mit der Zeit bedrängte er mich immer massiver, dass ich mit ihm schlafen solle. Na ja,  ich ließ mich schließlich auch darauf ein.

Es war sowieso eine verrückte Zeit. Oft stand ich neben mir und staunte nur noch über mich. Nichts war mir zu heiß, nichts wirklich peinlich. Ich machte nur noch, was ich wollte, nicht was gut und vernünftig gewesen wäre. Ich wollte nur noch für mich da sein. Keine Rechenschaft, niemand fragen. Ich war stolz auf mich, ich war zufrieden und ich konnte mich nicht erinnern, mich jemals so gut gefühlt zu haben.

Natürlich durften auch die Wermutstropfen nicht fehlen, die da waren: Max und meine Zukunft. Eine Zukunft mit Max?  Eine Zukunft ohne Max? Eine Zukunft ganz alleine? Oft sah ich mich einsam und verlassen im Alter, gebeugt, auf einen Stock gestützt und neidisch andere alte Paare betrachten. Dann sah ich Paare wie Max und mich, die genauso gleichgültig wie wir früher, also vor wenigen Monaten, sonntags schön spazieren gingen.

Keinen dieser Wermutstropfen wollte ich mir einschenken. Aber was wollte ich? Ich wollte alles. Meine Freiheit, meine Sicherheit, mein Haus, meine Lover. Wollte für niemand und nichts da sein, aber wollte alle und alles für mich.

Darüber, dass das nicht auf die Dauer gehen würde, zerbrach ich mir nun Tag und Nacht den Kopf. Unsinnigerweise. Tom sagt mir zu dem Thema: Du willst eine Decke mit fünf Zipfeln, aber die gibt es nicht. Recht hatte er.

Jedenfalls erlebte ich Stories, die ich mir selbst kaum glauben würde.

Das nun geplante Date mit Norman gehörte auch dazu. Er nahm ein Einzelzimmer in einem Landgasthof in der Nähe und bezahlte es schon im Voraus. An dem bewussten Abend stellten wir auf einem etwas abgelegenen Parkplatz mein Auto ab und fuhren dann mit seinem in den Nachbarort etwas essen. Man hätte es sich sparen können, denn wir bekamen beide nichts herunter. Wenigstens tranken wir etwas für den Mut. Ich jedenfalls brauchte es für den Mut, er vielleicht eher zur Dämpfung der hormonellen Schwingungen.

Durch einen Hintereingang schlichen wir wie Diebe in das Zimmer. Es war mini und man musste sich vor den vielen Dachschrägen in Acht nehmen.

Wieder war eine Flasche Sekt dabei. Was folgte war eine gut gemeinte aber trotzdem schlechte Inszenierung mit Rotkäppchen in der Dusche und auf der Haut, im Auto vergessenem Kondom und ohne dramaturgischen Höhepunkt.

Wir schlichen genauso wie wir gekommen waren aus dem Hotelchen hinaus und jeder fuhr nach Hause. Das war gleichzeitig das Ende dieser Unromanze. Obwohl Norman richtig Theater gemacht hat, als ich es ihm eröffnet habe, ließ ich mich zu nichts mehr erweichen.

Machs nicht ohne. Diese Plakate hängen überall riesengroß und mit immer neuen originellen Ideen.

Machs auch nicht ohne Liebe!

 

Außerdem bahnte sich zu der Zeit ja schon Thomas Teckengruber an.

Norman hat damals immerhin mein schwächliches Ego enorm gestärkt. Er  war mir auch insofern willkommen, als ich einen richtigen Grund brauchte, um nicht mehr mit Konstantin zusammen sein zu müssen. Man kennt das ja. Das einzig wahre Lösungsmittel für eine Beziehung ist ein Anderer.

 

Was Max anging, den habe ich in dieser Zeit  überhaupt nicht beachtet. Ich habe ihn gar nicht gesehen.

Umgekehrt war das ganze Gegenteil der Fall.

Ihn erwischte es mit so einer Gewalt, dass er nahe daran war, durchzudrehen. Er liebte mich plötzlich wie nie zuvor in seinem Leben. Er machte alles, was mir nur irgendwie gefallen könnte. Kaufte mir auf einmal  BHs und Blumen und wir gingen jeden zweiten Tag ins Kino oder in die Kneipe. Er himmelte mich an, machte mir dauernd Komplimente und sich manchmal fast lächerlich. Plötzlich wollte er sich die gleichen Klamotten kaufen, wie ich sie trug. Die Kinder durften kein freches Wort gegen mich sagen. Er duschte jeden Abend!

Max tat alles, was man sich denken kann, um bei mir zu landen.

Aber er schaffte es nicht.

Ich fühlte mich bestätigt wie noch nie. Jedoch, ich mochte seine Liebe nicht.

Und er wollte das nicht merken. Oder er merkte es wirklich nicht. Bei soviel Liebe konnte ihn ja wohl kein normaler Mensch ablehnen!

Wie ein trotziges Kind wollte er die Ablehnung unsichtbar machen. Immer wenn wir uns im Zimmer begegneten, fasste er mich an, hielt mich fest, wollte mich streicheln und gestreichelt werden. Wenn er mit mir schlief, habe ich mir Mühe gegeben, dass es schnell vorbei ist. Oft habe ich geweint. Das hat er gar nicht gemerkt.

Ich habe versucht, dabei an Tom zu denken, aber das klappte nicht. Der Sex war der von Max und nicht der, den ich mir mit Tom erdachte.

Einmal habe ich mich bei meiner Mutter beschwert, dass Max ständig an mir dran hängt und dass ich das nicht ertragen kann. Sie hat bei Gelegenheit am Telefon zu ihm gesagt, dass er sich nicht immer so an mich hängen soll und von der Stunde an hat Max mich nie wieder angefasst. Ganz plötzlich von heute auf morgen hatte ich meine totale Ruhe. Ich fand das natürlich herrlich, ich wollte es ja so. Aber er hat darunter bestialisch gelitten. Man muss es sich nur mal vorstellen, mit jemand den man liebt zusammen in einem Bett zu liegen und ihn nie berühren zu dürfen.

Immer hat Max alles so übertrieben. Für ihn gab es nur L oder 0. Heiß oder kalt, ganz lieb oder ganz eklig.

Ich hatte nicht mal Mitleid mit ihm. Er wurde krank, hatte abwechselnd Schüttelfrost und Schweißausbrüche. Ich lebte zu Hause, aber ich war nicht da. Zu dieser Zeit chattete ich jeden Abend. Das schien Max noch mehr zu stören, als meine Ablehnung. Er sah zu, wie sich sein vorher uneingeschränkter Einfluss auf mich auflöste, und er begann zu kämpfen, wie er es nannte. Die Argumente, mit denen er mich bekehren wollte, waren nur zum Kotzen. Die Mittel, die er einsetzte waren das auch. Er forderte meine Liebe mit Gewalt.

Ich stand über den Dingen, war abwesend, wenn er nicht gerade wieder mal unsanft versucht hatte, mich zurecht zu rütteln und dachte an Tom.

Einige Male redeten wir damals auch sehr vernünftig miteinander und es sah manchmal so aus, als würde alles wieder gut werden. Ich brauchte doch nur etwas Zeit! Das hatte ich ihm gesagt!

Aber es sah manchmal nur so aus.

 

Ich schütte den restlichen Kaffee in meine Tasse und räume den Tisch ab. Muss endlich mal was machen, ich faules Ei. Zuerst gehe ich in den Keller und stopfe alle Tischdecken – komisch, so viele waren es gar nicht – in  die Waschmaschine. Damit ist die erst einmal beschäftigt.

Dann gehe ich nach oben. In Melanies Zimmer ist schon alles okay. Braves Mädchen! Sie hat die Betten wieder abgezogen und auch ihre Blumen gegossen. Bis jetzt sind sie alle noch am Leben. Ich hätte das nicht gedacht, als meine Tochter vor ziemlich genau vier Monaten ausgezogen ist. Es wurde ja auch langsam Zeit, dass sie sich einen Job suchte. Das Studium war schon seit Monaten überstanden und sie saß immer noch zu Hause rum.

Sie wollte ja unbedingt weg. In die weite Welt hinaus. Aber sehr angestrengt hat sie sich bei ihren Auswanderungsversuchen nicht gerade. Mit dem Geld von Mini-Jobs finanzierte sie ihre Extras und lebte dabei ganz gut im Hotel Mama. Erst hat sie nichts gefunden, wo sie sich bewerben könnte und dann kamen lauter Absagen. Heimlich hat sie wohl darauf gewartet, dass ihr Freund auch fertig wird, sie wollten zusammen in eine grössere Stadt. In welche, das stand noch nicht fest. Plötzlich aber hatte sie doch noch Glück. Sie wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen, erhielt den Zuschlag und auf einmal stand auch die Stadt fest.

Zwei Wochen blieben ihr zum Koffer packen. In den letzten drei Tagen davon wurde ihr komisch zumute und mir auch. Fünfundzwanzig Jahre waren wir mehr oder weniger friedlich vereint und nun würde sie gehen? Es war gewollt und gewünscht und das Beste für Mutter und Kind, aber so plötzlich?

Tapfer räumte sie ihre Taschen ein und ihr Zimmer aus. Alles Wärmende hat sie daraus entfernt. Es sollte kalt aussehen, wenn sie geht, dann ist es leichter.

Wie sie immer wieder mal mit mir umsprang, das werde ich schnell vergessen haben. In der Hoffnung, meine Mutter hat auch vergessen, wie ich ihr damals, vor über 30 Jahren,  immer wieder das Leben schwer gemacht habe.

Wie sie mich beraten hat beim Klamotten kaufen, wie sich mich getröstet hat, wenn es wieder einmal Ärger in der Firma gab, wie sie im Garten mit mir zusammen gegen das Unkraut kämpfte und mir von ihrer ersten Liebe erzählte und ihrer nächsten, wie ich ihr von meinen Lieben erzählte, wie sie ihren Bruder vermisste und er sie, wenn sie sich eine Zeit nicht sahen und wie sie sich abwechselnd bei mir über den anderen beklagten wenn sie beide zu Hause waren, daran werde ich immer wieder denken müssen.

Auch daran, wie löwenhaft sie um Gerechtigkeit in der Familie kämpfte und wie sie vor jedem Abschluss, ob es das Abi war oder dann das Studium, am liebsten alles hingeschmissen hätte und mich davon überzeugen wollte, wie doof sie im Grunde genommen sei. Dann habe ich sie getröstet und motiviert, so wie ich es von ihr gelernt hatte.

Niemals werde ich auch ihre Verzweiflung und Angst vergessen, die sie empfand, als sich zwischen Max und mir alles änderte. Sie ging mitten in dieser Zeit für einige Monate weg zu einem Praktikum. Max hat sie dauernd abends dort angerufen um mit jemand über seine Not zu reden. Sie hat ihn beraten und wollte ihm wirklich helfen. Aber er hat nur zugehört und nichts davon angenommen.

Dazu muss man wissen, dass Melanie über die schwierigen zwischenmenschlichen Beziehungen eine Menge zu sagen hat. Schließlich wollte sie mal was psychologisches studieren, sie liest sehr viel, geht nur zu wertvollen Filmen ins Kino  und guckt sich zu gerne Schlammschlachten im Fernsehen an. Ich habe mich oft nach ihrer Meinung orientiert.

Als sie merkte, dass Max sie nur als Mülleimer für seine Sorgen benutzt, hat sie sich nicht mehr so ins Zeug gelegt. Sie hat ihm gesagt, dass er sie nicht mehr anrufen soll, als sie merkte, dass es ihr danach immer schlecht ging. Sie hat es nicht ausgehalten.

Ich freue mich schon so darauf, Melanie und ihren Freund in ihrer kleinen Wohnung zu besuchen. Hoffentlich sind sie bald soweit, dass sie schon Besuch ertragen können. Ich bin so wahnsinnig gespannt, wie es bei ihr aussehen wird. Hässlich kann es gar nicht sein, denn wir haben beide einen ähnlichen Stil. IKEA mit einigen noblen Elementen. Und unkonventionell muss es sein.

Hoffentlich machen sie mich nicht aus Versehen zur Oma, wenn sie ja jetzt Tag und Nacht so eng zusammen sind. Aber so schlimm wie damals, als meine äussere und innere Verwandlung passierte, wäre das heute nicht mehr für mich. Zum Thema Baby ist meine Tochter sowieso noch sehr geteilter Meinung. Sie schwankt zwischen zwei totalen Extremen. Als sie dachte, sie schafft ihr Diplom nie, erwog sie, zehn Kinder auf die Welt zu bringen, damit sie lange Zeit beschäftigt ist und inzwischen alle vergessen, dass das Diplom noch aussteht.

Oder sie will überhaupt kein Kind in eine Welt setzen, die umweltvergiftet ist, in der in jeder zweiten Packung mit Lebensmitteln eine Zeitbombe tickt, in der man besser reich sein sollte, in der alle Übel nur über der Erde abgerissen werden, nie mit den Wurzeln.

Irgendwas dazwischen wird es werden, da bin ich mir sicher.

Und an die Trennung werden wir uns beide gewöhnen.

 

Mit Kyril war das genauso, als er sein Bündel schnürte. Ich habe ihn jeden zweiten Tag angerufen, was ihm aber bald auf die Nerven ging. Daraufhin gab es nur noch einmal in der Woche und einmal am Wochenende Telefon. Inzwischen kann er sich schon drei Gerichte selber kochen. Und er kriegt auch eine Tütensuppe hin. Er macht sogar jede Woche sauber. Hier zu Hause hat er das maximal jedes Jahr geschafft. Und er kann so was Kompliziertes wie eine Waschmaschine bedienen. Eigentlich braucht er gar keine Frau mehr. Aber vielleicht nimmt er ja ein Einzelkind aus einem Arzthaushalt, die ohne so einen wie ihn im wirklichen Leben aufgeschmissen ist.

Ein Glück, dass uns wenigstens Clara noch eine Weile erhalten bleibt. Vielleicht lebt sie ja später auch hier. Geht gar nicht weg. Vielleicht schwingt sich die Wirtschaft in der Heimat auf, bis Clara  mit ihrem Studium fertig ist.

Ungewöhnlich ist, dass keines unserer drei Kinder woanders studieren wollte. Alle schrieben sich hier an unserer Uni ein. Wirtschaftlich konnten wir uns darüber nur freuen, für ihr Ego wäre der übliche Weg bestimmt besser gewesen. Doch darüber muss ich mir nun keine Gedanken mehr machen, dazu ist es zu spät.

 

Da ich mir bewiesen hatte, dass ich es auch mit einem Fremden konnte und als mein Selbstbewusstsein auf dem Höhepunkt seiner Karriere angekommen war, beschloss ich, mich allen Ernstes mit Tom zu treffen. Ich machte am Telefon vorsichtige Versuche, ihn von dieser Idee zu begeistern. Und ich scheiterte kläglich. Er sagte mir klipp und klar, dass er es nicht wolle. Grund: er hatte keine Lust auf eine Never Ending Story. Mir kamen die Tränen und ich legte auf. Fünf Minuten später rief ich wieder an, entschuldigte mich cool für meinen Gefühlsausbruch und wir redeten was anderes.

Habe ich schon mal etwas, das ich ganz, ganz sehr wollte nicht bekommen? Na also!

Ich nahm eine Woche Urlaub, mailte Tom, dass ich beabsichtige, ihn zu treffen und fuhr los, obwohl er nicht geantwortet hatte.

Wenn jetzt einer sagt, du wolltest ihn doch gar nicht treffen, sondern nur ein bisschen leiden und bestenfalls noch das Schicksal herausfordern, dann sage ich: stimmt!

Aber ich tat ganz ernsthaft so, als wolle ich ihn wirklich treffen. Es war übrigens der erste Solo-Urlaub überhaupt in meinem Leben.

Das Gefühl, ganz allein dort in dieser Stadt zu sein, war unbeschreiblich und ganz neu. Solange, bis mir der Hintern wehtat, konnte ich auf einer Bank am Ufer des Sees sitzen und lesen. Oder auf einer Bank im Rathaushof und die Paare beim Heiraten beobachten. Ich konnte stundenlang einkaufen gehen, mich dreimal am Tag umziehen und abends ins Theater in der Scheune gehen. Ich musste nicht begründen, warum ich dahin wollte. Ich ging in’s Kino und ins Kabarett und ich lernte dabei nette Leute kennen. Ich saß abends im Gartenrestaurant am See und war traurig, dass Tom nicht ein einziges Mal ans Telefon ging. Jeden Tag rief ich ihn an und führte vertraute Gespräche mit seinem Anrufbeantworter. Vielleicht war er selber im Urlaub? Oder er lag halbtot im Krankenhaus? Alles konnte möglich sein.

In einem Straßenkaffee kam ich ins Gespräch mit einem jungen Mann mit Schlips und Kragen. Er hatte Mittagspause und nachdem wir noch ein Stück gemeinsam durch den Park gegangen waren, kannte ich sein halbes Leben. Das interessanteste daran war, dass seine Frau und er eine tolerante Ehe führten. Jede Woche gehört jedem von ihnen ein Abend ohne Rechenschaft.

Sein Abend in dieser Woche stand noch bevor und er würde ihn gern mit mir verbringen, wenn ich es denn auch möchte.

Ich wusste noch nicht, ob ich möchte. Er sei sowieso da, er werde eine halbe Stunde warten und es wäre nicht schlimm, wenn ich nicht kommen würde.

Wieder gab ich Tom die Chance, wieder war er nicht da. Es war zum Verzweifeln. Jeden im Alter passenden Mann starrte ich an, irgendwo musste er doch sein! Es ist schließlich seine Stadt. Bei manchen Männern dachte ich natürlich auch: nein, bitte lass es den nicht sein! Langsam wurde die Zeit knapp. Der Abend mit dem Fremden war mein letzter Urlaubsabend. Wenn schon nicht Tom .... ich ging mit etwas gemischten Gefühlen zur Seebrücke. Bestimmt ist er gar nicht da dachte ich und hoffte es ein bisschen. Aber da stand er.

Wir suchten ein Restaurant im Freien und er erzählte mir ausführlich von seinem Espressoautomaten.

Am Ufer des Sees setzten wir uns auf eine Bank und nutzten den lauen Abend und die Dunkelheit zum Erörtern seiner im Suff erhaltenen Tätowierung an einer ganz bestimmten Stelle und ob ich sie mal sehen wolle. Nein, wollte ich nicht. Aber gegen Küssen hatte ich nichts einzuwenden. Dabei ruinierte ich mir meine nagelneuen Schuhe an der Bank. War es das wert? Ja, denn Schuhe kann man immer wieder kaufen.

Die Dunkelheit bewirkte, dass er plötzlich dem Mann ähnelte, der meine Schwester wegen einer anderen verlassen hatte, also meinem Schwager. Somit war der Abend vorbei. Da ich nun erst recht nicht beabsichtigte, ihn mit in mein Hotelzimmer zu nehmen, mussten wir rennen, weil die Tiefgarage um ein Uhr schloss.

Am Abfahrtsmorgen sass ich drei Stunden vor einer Kirche unter Bäumen und überlegte, ob ich Tom nun noch eine allerallerletzte Chance geben und mir noch für eine weitere Nacht ein Quartier suchen solle. Ich entschied mich für: nein.

Tom hatte sich auch für nein entschieden. Er antwortete nicht mehr auf meine Mails, er ging nie mehr ans Telefon. Ich flehte ihn über das World Wide Web  an, mir wenigstens ein Lebenszeichen zu geben. Wahre Dramen hatte ich mir  ausgedacht, die ihm widerfahren sein mussten.

Sein Lebenszeichen nach Monaten lautete: In der Tat, ich will in Ruhe gelassen werden.

Als ich das las, heulte ich und Max fragte besorgt (oder scheinheilig?) ist jemand gestorben? Ja, sagte ich, gewissermaßen.

Ich litt gewaltig unter dem Verlust dessen, das ich niemals hatte. Doch - ich hatte immerhin wunderschöne Gespräche und ab und zu eine kurze Mail. Und ich hatte Hoffnungen, hatte eine Motivation, Sport zu treiben und gut auszusehen. Alles futsch!

Immer und immer wieder schrieb ich ihm Mails über meinen Gefühlszustand, meine Liebe zu ihm, dem Gestaltlosen. Keine der Mails habe ich je abgeschickt.

Meine Schwester, der ich von Tom erzählt hatte, hielt mich berechtigterweise für bescheuert. Einem hinterher zu rennen, der überhaupt nichts von mir wollte!

Konstantin versuchte schlau zu argumentieren, aber wie heißt es doch? Liebe macht blind.

Und dumm.

 

Ich liebte Konstantin nicht, was er wusste. Ich liebte auch Thomas Teckengruber nicht. Ganz zu schweigen von Norman, aber Bob, den habe ich wirklich geliebt und seit neuem natürlich auch Max, was aber immer noch ein schwankender Zustand ist.

Bob liebte ich sehr und auch jetzt mag ich ihn noch unheimlich gern. Obwohl ich die ganze Zeit das Gefühl nicht loswurde,   es sei total unpassend mit uns. War es auch.

Umso erstaunter war ich über mich selbst, als ich eines Tages in der Mittagspause auf dem Weg zum Schlecker eine Ansammlung von Schmetterlingen und Flugzeugen im Bauch bemerkte und dachte: Oh mein Gott, ich liebe ihn ja wirklich.

Einen netteren Kerl als Bob habe ich nie kennen gelernt und ich war der felsenfesten Überzeugung, wenn das jemand mitkriegt, wie lieb Bob ist, bin ich ihn ruck zuck los.

Einmal hat er mir den Deckel von unserer Pfanne repariert. Ich hatte zufälligerweise dessen Anfassknopf im Backofen geschmolzen. Ich hatte mir schon eine Konstruktion ausgedacht, womit ich den Knopf ersetzen könne, aber ich wusste nicht wie. Bob versuchte nicht, wie es absolut männlich gewesen wäre, mir eine neue Lösung dafür vorzuschlagen. Nein – er fragte nur: was soll wohin? Und 10 Minuten später war die Reparatur vollzogen.

 Ist er deswegen unmännlich? Ich glaube nicht.

Am allerbesten an ihm ist, dass er niemals an mir herum meckert. Da muss ich schon ganz schön aufpassen, dass ich das nicht allzu sehr ausnutze.

Aber trotz alledem ist nach Ablauf meiner magischen zwei Jahre auch die Liebe zu Bob kleiner geworden und bald reichte sie nicht mehr zum Zusammenleben, sei es auch nur für einen Urlaub, aus.

Zwei Jahre sind mein Rhythmus. Immer öfter stelle ich das fest. Zwei Jahre habe ich einen Job und übe ihn mit Einsatz und Begeisterung aus. Wenn ich dann so richtig schön drin bin, schrumpft die Begeisterung und es beginnt sich der Wunsch nach was Neuem zu formieren. Leider trifft mich das eben nicht nur bei der Arbeit. Leider trifft es mich auch im richtigen Leben. Schon damals mit Max war es so. Aber da habe ich es noch nicht so erkannt. Ich hätte genauso gut mit ihm Schluss machen können, als ihn zu heiraten. Das mit der Hochzeit war mehr so ein selbst auferlegter Zwang. Schließlich war man ja verlobt und in einem Abstand von höchstens einem Jahr hatte man zu heiraten. Punkt. Noch bevor wir geheiratet haben, habe ich mich in andere Männer verliebt. Zwei Jahre waren um und ich dummes Huhn habe das damals gar nicht verstanden. Ich habe mir noch nicht einmal Gedanken darüber gemacht, was da passiert. Warum ich den einen Mann heirate und mehr als ab und zu an einen anderen denke. Wie hypnotisiert saß das Kaninchen Anna vor der Schlange Max. Erschwerend kommt dazu, dass ich es war, die heiraten wollte, nicht er. Ich wollte mich verloben, ich wollte heiraten.

Hat uns damals überhaupt jemand das Denken beigebracht?

Ja, ja mein alter Fehler. Immer wieder suche ich außerirdische Schuld für mein Versagen.

 

 

Ich muss mal im Keller nach der Wäsche sehen. Könnte eigentlich fertig sein. Ich werde sie gleich aufhängen und die nächste Portion in die Maschine stopfen.

Im Garten ist es schon angenehm warm, obwohl sich die Sonne immer noch in ihre Wolkendecke kuschelt. Aber es regnet wenigstens nicht.

Bestünde die ganze Hausarbeit darin, im Sommer Wäsche zu waschen, aufzuhängen und abzunehmen, ich würde mit Begeisterung Hausarbeit verrichten. Aber so ... Andauernd sehe ich beim Saubermachen noch etwas neues Schmutziges und ich werde und werde nicht fertig. Meine ganzen schönen Pläne für den Tag verschwinden im Wischeimer und dann ist es plötzlich Nachmittag und ich habe weiter nichts gemacht als sauber. Wenigstens sieht es für ein paar Stunden gut aus. Das ist ja auch was!

Heute passiert mir das nicht! Heute fange ich nichts an, das länger als eine halbe Stunde dauern könnte, außer es ist was für mich. Mal sehen, wann  Max nach Hause kommt und welche Laune er wieder mitbringt. Ob er am Wochenende wieder zu ihr fährt? Eigentlich war er lange nicht dort. Aber es war hier ja auch immer was los. Vor drei Wochen feierte er einen Geburtstag mit Kollegen, voriges Wochenende machten wir Grosseinsatz im Garten und dieses Wochenende war ja mein Geburtstag.

Bestimmt fährt er. Ich frage ihn gleich wenn er kommt, damit ich mich schon drauf einstimmen kann.

Eine zeitlang – so um Weihnachten herum – war er selten bei ihr. Davor jedes Wochenende. Und seitdem auch. Freitags fährt er gleich vom Büro aus los und kommt erst am Montag nach der Arbeit wieder nach Hause. Danach hat er zwei Tage gute Laune und zwei Tage schlechte und schon fährt er ja wieder weg.

Dass er diese fremde Frau wirklich sehr lieben muss, habe ich erst ziemlich spät begriffen. Lange Zeit dachte ich, er fährt da nur hin um geliebt zu werden. Am Anfang war es vielleicht so, aber inzwischen hat er sich scheinbar völlig von mir verabschiedet. Er hat sich von mir entliebt. Genau das habe ich von ihm gefordert, damals. Und er hat einmal in unserem gemeinsamen Leben das gemacht, was ich ihm gesagt habe. Warum nur dieses eine Mal? Und warum gerade das? Es gab tausend Dinge, die er hätte tun können. Zum Beispiel die üppig und wild wuchernden Rosenbüsche nicht dauernd zu stutzen. Aber nein – die stutzte er weiter, dafür suchte er sich eine neue Liebe. Und zwar kurz nachdem er mir mit Tränen in den Augen versichert hatte, er würde mich immer lieben. Für immer!

Jetzt sagt er das natürlich nicht mehr. Er würde sogar abstreiten, es je gesagt zu haben. Darauf lasse ich es gar nicht erst ankommen.

Jetzt sagt er mir an einem Tag, dass er mit mir nichts mehr anfangen kann, dass er diese Frau so sehr liebt. Und an einem anderen seufzt er und fragt sich und mich, warum denn das Leben auch nur so kompliziert sein muss! Er ist demnach ambivalent, ich bin es aber auch.

Das Wort habe ich vor kurzem bei Laemmle Live gelernt. In der Sendung war jeder zweite Anrufer ambivalent. 

Wäre das Leben eine Buchhaltung, könnte man den einen Posten gegen den anderen ausbuchen, wenn beide ambivalent sind, und schon hätten wir den besten Frieden hergestellt. Unsere Bilanz ginge wieder auf. Auf der einen Seite stünde unser ganzes Kapital und auf der anderen, was wir uns damit leisten können. So wie es aber jetzt aussieht, gehört bald ihm die Seite mit der Kohle und ich kann mir nichts mehr leisten. Tolle Aussichten sind das!

Ich habe mal ganz tief in mich hinein gehorcht, um rauszukriegen, ob meine entflammte Liebe zu Max vielleicht nur mit der falschen Bilanzseite zusammenhängt. Das kann ich aber nun fast ganz ehrlich verneinen. Die Begründung ist einfach: Weil ich die Liebe im Herzen gespürt habe und nicht in der Hosentasche. Weil sich jeder schöne Moment mit ihm, obwohl rar wie eine Rosine im Nachkriegsstollen, mit Macht an die Oberfläche gewühlt hat und dabei alles nervige, herzlose und böse unter sich begraben hat. Ob das nun gut ist oder nicht. Es war so.

Und ausgerechnet Bob ist mit daran schuld.

 

Mit ihm habe ich im Schnelldurchlauf noch mal meine verliebte Jugend erleben dürfen. Nur unter anderen Vorzeichen. Bei Max und mir war er der Gott, bei mir und Bob bin ich es.

Und Bob – das erhebt ihn über alle anderen – weiß immer schon im Voraus, wie etwas ankommt, das er sagt. Er kennt mich, wie ich ihn kenne, weil wir ganz ähnlich aufgebaut sind. Es war so, als hätte ich  als Töpfchen immer nach einem passenden Deckelchen gesucht. Ich hatte zwar eins, aber das klapperte andauernd, man konnte machen, was man wollte. Ich probierte diesen und jenen Deckel aus, aber keiner war richtig gut. Dann kam Bob und der Deckel saß. Wie verschweißt. Er hat überhaupt kein bisschen geklappert und gewackelt. Nur dass es recht komisch aussah – so ein nagelneuer Deckel auf  einem so alten Topf. Aber alles kann man nicht haben!

Bei unseren ersten Unternehmungen, von denen wir im Laufe der Zeit hunderte hatten, war ich noch vorsichtig und misstrauisch, weil ich auf den Stressfaktor wartete. Doch der kam nicht und unser Verhältnis wurde immer enger. Wir vertrauten uns.

Wir hatten keinerlei Streit und es musste sich auch keiner nach dem anderen richten, weil wir sowieso meistens dasselbe wollten. Wenn mal nicht, dann richtete Bob sich nach mir. Damit konnte ich gut leben.

Vieles, das wir zusammen machten, erinnerte mich an gemeinsame Zeiten mit Max. An Urlaube mit ihm und den Kindern, an den harmonischen Teil unseres Familienlebens. An disharmonisches musste ich mich direkt mit Gewalt erinnern, wenn mir manchmal das harmonische Gefühl zu sehr in den Vordergrund zu rücken schien.

Jedenfalls vermischten sich der Bob von heute und der Max von damals so langsam miteinander. Und die Anna von heute war eine ganz andere, als die von früher. Sie meckerte nicht dauernd herum, sie lobte mehr als sie tadelte,  sie war zufriedener, vor allem mit sich selbst und sie hatte Gefallen gefunden an langen Vormittagen im Bett, an der Liebe.

Immer öfter stellte ich mir vor, wie es ausgegangen wäre mit dem damaligen Max und der heutigen Anna. Und Max bekam einen Heiligenschein nach dem anderen aufgesetzt.

Immer häufiger überfielen mich diese Glorifizierungsattacken wenn ich mit Bob unterwegs war. Dann saß ich ganz stumm neben ihm und er wusste, es ist mal wieder so weit.

 

Den Zahn der trauten Zweisamkeit zog Max mir unverzüglich mit seiner unverwechselbaren Pomadigkeit, wie meine Mutter es nannte, sobald ich wieder bei uns zu Hause ankam.

Es dauerte  keine zehn Minuten und schon sehnte ich mich wieder nach Bob.

Das ging munter so weiter, nur dass meine Anfälle immer häufiger wurden.

Ich bin  nun mal eine hoffnungslose Illusionistin. Und ich glaubte erkannt zu haben, dass ja Max nicht anders sein könne, wenn er annehmen musste, dass ich von einem anderen Kerl käme. Aber auch er kam jedes Wochenende von einer anderen Frau und ich war n i c h t pomadig zu ihm!

Trotz allem: Indem ich mich für Max entschied, entschied ich mich gegen Bob.

Ich bekam Zustände, wenn ich Paare in meinem Alter sah und dagegen mich und Bob. Gut, wir gingen als Mutter und Sohn weg. Aber ich wäre auch mal gern mit einem Partner aufgetreten. Manchmal würde ich mich lieber toll zurechtmachen, als in unauffälligem Look neben Bob herzulaufen. Ich hätte es machen können, aber ich tat es nicht.

Was ich hasste war, jeden zweiten oder dritten Abend, denn so oft trafen wir uns eine lange Zeit, durch unsere Strasse, durch den Park und bis zu unserem Treffpunkt zu gehen. Von da fuhren wir mit seinem Auto irgendwo hin. Besonders hasste ich das im Sommer, wenn alle  draußen im Hof oder im Garten saßen und miteinander redeten. Immer öfter hätte ich zu denen gehören und mich nicht wie ein Teeny heimlich zu meinem Freund schleichen wollen. Warum bin ich nicht mit meinem Auto gefahren? Fragt mich!

Viel hätte das aber auch nicht geändert.

Seine Themen waren immer wieder dieselben, mein am Anfang neugieriges Interesse daran schwand. Auch meine Themen waren immer dieselben und obwohl er es so aussehen liess, als wäre sein Interesse ungebrochen, hatte ich das Gefühl, dass es gar nicht so war. Manchmal fragte er mich etwas, das ich beantwortete und zehn Minuten später fragte er mich dasselbe wieder.

So schlichen sich also auch in meinen perfekten Bob Fehler ein, für die er gar nichts konnte.

Dass wir bei aller Liebe, bei allen Töpfen und Deckelchen dieser Welt keine gemeinsame Zukunft hatten, das war der eigentliche Punkt. Er wollte davon gar nichts wissen, nach dem Motto: Ach komm, lass uns die Zeit genießen.

Mich beschäftigte es ununterbrochen.

Er sagte mir, dass er immer für mich da sein werde. Ich möchte es ihm gerne glauben und werde bestimmt irgendwann darauf zurückkommen, aber ich weiß genau, dass es unrealistisch ist und dass es dumm von mir wäre, mich etwa darauf zu verlassen. Und ich will es auch nicht. Auf die Dauer ist der alte Topf einfach zu schäbig für den neuen Deckel. Immer wenn Besuch kommt, muss man beide verstecken.

Falls aber mein alter klappernder Deckel nicht mehr auffindbar sein sollte, müsste ich mir einen neuen alten Deckel suchen. Bei dem Gedanken wird mir ganz schlecht.

 

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